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Wissen bringt mehr Sicherheit

Am 12. Oktober 2019 war das von den Naturfreunden Österreich und der ZAMG Steiermark organisierte, dritte Lawinensymposium in Graz ein Pflichttermin für rund 600 BergsportlerInnen. Für alle, die es versäumt haben, fassen wir hier den Inhalt zusammen.

 

Text: Christof Domenig, Redakteur des Magazins „SPORT aktiv“, Fotos: Alfred Leitgeb

 

Alle zwei Jahre beginnt die Schitourensaison bereits Mitte Oktober im Arbeiterkammersaal in Graz. Auch das dritte internationale Lawinensymposium der Naturfreunde Österreich und der ZAMG Steiermark im Herbst 2019 war für rund 600 BergsportlerInnen ein Pflichttermin. Im Rahmen des Symposiums referierten Topfachleute aus Norwegen, Deutschland, Slowenien, Südtirol, der Schweiz und Österreich über Neuerungen in der Schnee- und Lawinenkunde sowie über aktuelle Ergebnisse der Lawinenforschung. Weitere Themen waren Risikomanagement, Alpinismus und Tourismus, Lawinenprognose und Meteorologie sowie rechtliche Aspekte. In Workshops wurde auch praktisches Wissen vermittelt.

 

 

Ausbildungskonzept W3

Ein viel diskutiertes Thema waren die Rekordschneemengen des vergangenen Winters und die Frage, ob BergführerInnen bei Lawinenwarnstufe 4 ein Foto von einer Schitour posten dürfen. Der Bergrettungsausbildungsleiter Andreas Steininger hatte dafür im Jänner 2019 einen „Shitstorm“ geerntet. „Man darf sehr wohl bei Lawinenwarnstufe 4 Schitouren gehen, nur sollte man sich auskennen. Ich glaube, ich kann es einschätzen“, erklärte er beim Lawinensymposium immer noch erbost – wenngleich die Adressaten wohl nicht unter den 600 Gästen waren.

 

Dabei wären alle, die Steininger kritisiert hatten, gut beraten, sich bei solchen Veranstaltungen fortzubilden. Schon nach dem ersten Vortrag hätten sie es besser gewusst. Mitveranstalter Martin Edlinger von den Naturfreunden und Bernd Zenke, langjähriger Leiter des Lawinenwarndienstes in Bayern, erklärten den von ihnen mit entwickelten kompetenzorientierten Leitfaden „W3“. Warum kompetenzorientiert? „Weil der Kompetenz, dem Können und Wissen, breiterer Raum eingeräumt wird als in herkömmlichen Entscheidungsstrategien“, erläuterte Edlinger.

 

Das Ausbildungskonzept W3 teilt SchitourengeherInnen in die vier Gruppen EinsteigerInnen, mäßig Fortgeschrittene, Fortgeschrittene und Profis. Mit welchen Kompetenzen man sich wo einordnen kann, ist im Leidfaden festgehalten. Im Zentrum steht eine Matrix mit vier Feldern und klaren Empfehlungen: EinsteigerInnen sollen bei Lawinenwarnstufe 1 und 2 im Gelände unter 30 Grad erste eigenverantwortliche Erfahrungen sammeln, mäßig Fortgeschrittene können im flachen Gelände auch bei Warnstufen 3 und 4 unterwegs sein. Fortgeschrittene sollten das Urteilsvermögen haben, sich bei sicheren Verhältnissen auch im Gelände über 30 Grad zu bewegen. Erst Profis, die etwa Prozesse in der Schneedecke beurteilen können, sind in der Lage, auch bei Warnstufe 3 und 4 im steileren Gelände risikobewusst unterwegs zu sein. Mehr darüber auf w3.naturfreunde.at!

 

 

Für eine einheitliche Lehrmeinung

Reinhold Pfingstner von der Bundessportakademie und Günther Apflauer vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung gaben einen Zwischenbericht über die Bestrebungen, in der Lawinenkunde eine einheitliche österreichische Lehrmeinung zu etablieren. Eine Arbeitsgruppe von Expertinnen und Experten versucht zurzeit, den strategischen und den analytischen Zugang in der Lawinenkunde in einem modernen Konzept zu vereinen. Bis zu einem gedruckten Standardwerk braucht es aber noch etwas Zeit.

 

 

Ganzverschüttungen verhindern!

Der Notarzt und Bergrettungsarzt Stefan Heschl stellte den Einsatzablauf nach Lawinenunfällen dar und hatte aufschlussreiches Statistikmaterial im Gepäck: 23 Prozent der Lawinenunfälle enden tödlich - 4 Prozent bei einer Teilverschüttung, 52 Prozent bei einer Ganzverschüttung. Es gelte also, durch den Einsatz von Airbagrucksäcken Ganzverschüttungen zu verhindern. „Nach einem Unfall ist eine rasche Bergung das Hauptziel“, betonte der Arzt und verwies auf die große Bedeutung der Kameradenrettung. Heschl rief dazu auf, auch Lawinen, bei denen niemand zu Schaden gekommen ist, dem Alpinnotruf zu melden, damit keine unnötigen Rettungseinsätze ausgelöst werden, wenn jemand später den Lawinenkegel entdeckt.

 

 

Gegen billige Schlagzeilen

Peter Plattner, Chefredakteur des Fachmagazins „bergundsteigen“, hielt ein Plädoyer für Ausbildung („die auch Geld kosten darf“) und Eigenverantwortung und führte zum Bergretter Stefan Schröck über. Mit Andreas Steininger widmete sich Schröck nicht nur kritisch den Diskussionen in sozialen Medien über den „Rekordwinter“, sondern auch der Berichterstattung in Teilen der Massenmedien. Die Bergrettung sei für billige Schlagzeilen instrumentalisiert worden, etwa mit Berichten, dass „Schi-Hooligans“ das Leben der Bergretter in Gefahr gebracht hätten, wogegen man sich verwehre.

 

 

Neue Regeln nötig?

Arno Studeregger, Alpinsachverständiger und Lawinenwarner der ZAMG Steiermark sowie Mitveranstalter des Lawinensymposiums, und der Alpinpolizist Klaus Pfaffeneder stellten sich die Frage: „Sind Modeschitouren ein rechtsfreier Raum?“ Anhand eines Unfalls am Großen Bösenstein in der Steiermark zeigten die beiden Experten die Problematik auf, wenn viele TourengeherInnen auf kleinem Raum zusammenkommen. In Gruppen würden Standardmaßnahmen wie Entlastungsabstände meist eingehalten, nicht jedoch, wenn fremde Gruppen zusammentreffen. Wäre es gesellschaftlich tragbar, die Freiheit einzuschränken, wenn Berge überlaufen sind und sich daraus Gefahren ergeben? Braucht es neue Regeln? Oder genügt (noch) das Prinzip gegenseitiger Rücksichtnahme? Endgültige Antworten müssen noch gefunden werden.

 

 

Der freie Schiraum soll frei bleiben!

Margareth Helfer vom Institut für italienisches Recht an der Universität Innsbruck schilderte die durchaus problematische Rechtslage in Italien. Dort ist bereits das Auslösen einer Lawine ein Tatbestand, der auf einen alten Paragrafen zurückgeht, der lange nicht angewandt wurde. Bis ein Schifahrer zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt wurde, obwohl niemand verletzt worden war.

Wie ist die rechtliche Lage in Österreich? „Soll eine riskante Schitour strafbar sein?“ hieß der Vortrag der Richterin Dalia Tanzcos. Im Februar 2019, als Folge der Schneemassen, hatte die Bundesregierung einen Lawinengipfel einberufen, unter anderem um schärfere rechtliche Konsequenzen für SportlerInnen zu prüfen. „Die darauf entfachte Diskussion ist ein Abbild unserer Gesellschaft mit dem Umgang mit Risiko und mit Eigenverantwortung“, so die Richterin. Sie stellte klar, dass die Berge schon jetzt kein rechtsfreier Raum sind und es ausreichende Sanktionsmöglichkeiten gegen Personen gibt, die andere fahrlässig in Gefahr bringen. Bei fahrlässiger Tötung etwa drohen einem bis zu einem Jahr Haft. „In Österreich hat man glücklicherweise die freie Entscheidung jedes Einzelnen, Touren im freien Gelände zu unternehmen oder zu unterlassen“, meinte Tanczos. „Der freie Schiraum soll frei bleiben, auch frei von populistischer Anlassgesetzgebung.“

 

 

Auswirkungen des Klimawandels

Sind die historischen Schneemengen nicht ein Beweis gegen den Klimawandel und die Annahme, dass in Mitteleuropa demnächst der Schnee ausgeht? Andreas Gobiet von der ZAMG Graz zeigte zunächst, dass im Gebirge auch im Winter die Temperatur ansteigt. Die Saison mit geschlossener Schneedecke wird ständig kürzer werden und die Schneefallgrenze steigen. Gobiet präsentierte zwei Varianten: Wird rasch gegengesteuert, könne man bis 2100 die Erwärmung im Alpenraum auf 1,2 Grad begrenzen. Wird allerdings weiter wie bisher verfahren, sind bis 2100 mehr als 4 Grad Erwärmung zu erwarten: Die Enkelgeneration wird dann unter 2000 bis 2500 m Seehöhe keine Schier mehr anschnallen können.

 

Erkenntnis am Rande: Der Rekordwinter 2018/19 brachte zwar nach Unfällen heftige Schlagzeilen und Diskussionen. Die Zahl der Opfer lag jedoch nicht über dem langjährigen Schnitt.

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